Die zwei Türme
In der Historie beider Länder gibt es zuweilen Überschneidungen, die den Wenigsten bewusst sind, die jedoch garantiert ein Schmunzeln auf ihre Gesichter zaubern würden, welches nur Gutes und Altbekanntes verursachen kann. Eine dieser Überschneidungen ist mit Sicherheit die Überlieferung vom Mäuseturm, die in Polen einen identitätsstiftenden Charakter besitzt und in Deutschland immerhin eins der markantesten Wahrzeichen des oberen Mittelrheintals darstellt.
Die Legende des Binger Mäuseturms, die im 10. Jahrhundert spielt, handelt von einem habgierigen, grausamen Erzbischof Hatto II., der in grenzenloser Gemeinheit seine ausgezehrten Untertanen, die ihn während einer großen Hungersnot um Hilfe aufsuchen, in einer Scheune zusammentreiben und vor seinen Augen verbrennen läßt, wobei er obendrein das Klagegeschrei der Opfer seiner Gräueltat mit "satanischem Gelächter" mit den Worten "Hört doch, hört, wie die Kornmäuse pfeifen!" verschmäht haben soll. Alles in Allem ergibt dies eine recht verstörende Geschichte, welche jedoch mit einer gerechten Strafe Gottes endet, die den Bischof schließlich verdientermaßen ereilt. Die Hauptrolle spielen dabei Mäuse, die Hatto überallhin verfolgen, bis er auf der Flucht vor ihren scharfen Bissen – von allen Dienern und Knechten verlassen – auf eine kleine Rheininsel flüchtet, auf welcher sich ein Turm erhebt. Die tapferen Nagetierchen überwinden jedoch daraufhin die Stromschnellen des Flusses, besetzen den Turm und – als es keine Vorräte mehr zum fressen gibt – nagen sie den Erzbischof bis auf die Knochen ab (s.u. 1, 2).

Der polnische Mäuseturm, der sich am Ufer des geschichtsträchtigen Goplosees erhebt, blickt auf eine Geschichte zurück, die erstaunliche Parallelen zu ihrer deutschen Verwandten aufweist, dabei jedoch eine viel größere Tragweite an den Tag legt.
Die Geschichte von dem im 9. Jahrhundert lebenden niederträchtigen Fürsten Popiel (Lautschrift: [Popiäl]), den Tausende Mäuse auffraßen, kennt in Polen nämlich nahezu jedes Kind. Sie ist nicht bloß eine wilde Erzählung, die ein Anfänger für seinen ersten Blogeintrag missbrauchen würde. Vielmehr markiert sie dank der Überlieferung von Gallus Anonymus, dem ersten polnischen Chronisten, den Grundstein dessen, was später mal zu Polen wurde. Ihre Handlung ist dabei schnell erzählt. Der feige Herrscher von Kruszwica ([Kruschwitza]), angestiftet durch seine gierige, wenn auch ansehnliche deutsche Gattin Gerda (s.u. 3), die um die Sicherstellung der Thronfolge ihrer Söhne besorgt war, vergiftete alle potentiellen Thronanwärter während er ihnen seine Bettlägerigkeit vortäuschte und als seinen letzten Wunsch einen Krug Met mit ihnen zu trinken vermochte. Nach wenigen Schlucken (Popiel tat dabei nur so als ob er trinken würde, seine Verwandten - Kenner und Liebhaber guter Tropfen - hingegen nicht) fiel die Gesellschaft leblos zu Boden. Popiel ließ daraufhin verlauten, dass sie nach seinem Thron und Leben trachteten und dafür lediglich die gerechte Strafe erhielten. Er verbot zugleich die Leichen der Unglücklichen zu beerdigen. Kurzdarauf krochen in der Nähe der verlassenen Leichname unzählige Mäuse aus dem Boden hervor und stürmten die Burg, in der Popiel wohl seine „wundersame Genesung“ feierte. Den ausgehungerten Mäusemaßen schutzlos ausgeliefert, flüchtete Popiel mit seiner Familie auf die Turminsel unweit seiner Festung und ließ die Brücke, die die Insel mit dem Festland verband, zerstören. Ähnlich wie in Bingen, stürzten sich jedoch die tapferen Mäuse prompt in die Fluten, drangen in den steinernen Turm ein und fraßen schließlich den Tyrannen mitsamt seiner Sippe restlos auf. Kurze Zeit später wählten die Bürger von Kruszwica den Rademacher Piast zu ihrem neuen Herrscher, der wiederum den Protoplasten und Namengeber jener Dynastie stellen sollte, die über Polen von den sagenumwobenen Anfängen bis in das 14. Jahrhundert geherrscht hatte (s.u. 4). Aber das ist schon eine andere Geschichte…
(1): Vgl. http://www.sagen.at/texte/sagen/deutschland/rheinland_pfalz/maeuseturm.html
(2): Vgl. http://www.labbe.de/lesekorb/index.asp?themaid=130&titelid=1726
(3): Die Negativfigur mit einer deutschen Fürstin zu besetzen, könnte entweder ein Ausdruck der antideutschen Ressentiments sein, die am Anfang des 12. Jahrhunderts, also in der Entstehungszeit der Geschichte, durch die kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Deutschen Reich in Polen vorherrschten, oder aber ein möglicher Hinweis auf die ursprüngliche Herkunft der Legende – entscheidet selbst.
(4): Vgl. http://dziedzictwo.ekai.pl/text.show?id=1156

Die Legende des Binger Mäuseturms, die im 10. Jahrhundert spielt, handelt von einem habgierigen, grausamen Erzbischof Hatto II., der in grenzenloser Gemeinheit seine ausgezehrten Untertanen, die ihn während einer großen Hungersnot um Hilfe aufsuchen, in einer Scheune zusammentreiben und vor seinen Augen verbrennen läßt, wobei er obendrein das Klagegeschrei der Opfer seiner Gräueltat mit "satanischem Gelächter" mit den Worten "Hört doch, hört, wie die Kornmäuse pfeifen!" verschmäht haben soll. Alles in Allem ergibt dies eine recht verstörende Geschichte, welche jedoch mit einer gerechten Strafe Gottes endet, die den Bischof schließlich verdientermaßen ereilt. Die Hauptrolle spielen dabei Mäuse, die Hatto überallhin verfolgen, bis er auf der Flucht vor ihren scharfen Bissen – von allen Dienern und Knechten verlassen – auf eine kleine Rheininsel flüchtet, auf welcher sich ein Turm erhebt. Die tapferen Nagetierchen überwinden jedoch daraufhin die Stromschnellen des Flusses, besetzen den Turm und – als es keine Vorräte mehr zum fressen gibt – nagen sie den Erzbischof bis auf die Knochen ab (s.u. 1, 2).

Der polnische Mäuseturm, der sich am Ufer des geschichtsträchtigen Goplosees erhebt, blickt auf eine Geschichte zurück, die erstaunliche Parallelen zu ihrer deutschen Verwandten aufweist, dabei jedoch eine viel größere Tragweite an den Tag legt.
Die Geschichte von dem im 9. Jahrhundert lebenden niederträchtigen Fürsten Popiel (Lautschrift: [Popiäl]), den Tausende Mäuse auffraßen, kennt in Polen nämlich nahezu jedes Kind. Sie ist nicht bloß eine wilde Erzählung, die ein Anfänger für seinen ersten Blogeintrag missbrauchen würde. Vielmehr markiert sie dank der Überlieferung von Gallus Anonymus, dem ersten polnischen Chronisten, den Grundstein dessen, was später mal zu Polen wurde. Ihre Handlung ist dabei schnell erzählt. Der feige Herrscher von Kruszwica ([Kruschwitza]), angestiftet durch seine gierige, wenn auch ansehnliche deutsche Gattin Gerda (s.u. 3), die um die Sicherstellung der Thronfolge ihrer Söhne besorgt war, vergiftete alle potentiellen Thronanwärter während er ihnen seine Bettlägerigkeit vortäuschte und als seinen letzten Wunsch einen Krug Met mit ihnen zu trinken vermochte. Nach wenigen Schlucken (Popiel tat dabei nur so als ob er trinken würde, seine Verwandten - Kenner und Liebhaber guter Tropfen - hingegen nicht) fiel die Gesellschaft leblos zu Boden. Popiel ließ daraufhin verlauten, dass sie nach seinem Thron und Leben trachteten und dafür lediglich die gerechte Strafe erhielten. Er verbot zugleich die Leichen der Unglücklichen zu beerdigen. Kurzdarauf krochen in der Nähe der verlassenen Leichname unzählige Mäuse aus dem Boden hervor und stürmten die Burg, in der Popiel wohl seine „wundersame Genesung“ feierte. Den ausgehungerten Mäusemaßen schutzlos ausgeliefert, flüchtete Popiel mit seiner Familie auf die Turminsel unweit seiner Festung und ließ die Brücke, die die Insel mit dem Festland verband, zerstören. Ähnlich wie in Bingen, stürzten sich jedoch die tapferen Mäuse prompt in die Fluten, drangen in den steinernen Turm ein und fraßen schließlich den Tyrannen mitsamt seiner Sippe restlos auf. Kurze Zeit später wählten die Bürger von Kruszwica den Rademacher Piast zu ihrem neuen Herrscher, der wiederum den Protoplasten und Namengeber jener Dynastie stellen sollte, die über Polen von den sagenumwobenen Anfängen bis in das 14. Jahrhundert geherrscht hatte (s.u. 4). Aber das ist schon eine andere Geschichte…
(1): Vgl. http://www.sagen.at/texte/sagen/deutschland/rheinland_pfalz/maeuseturm.html
(2): Vgl. http://www.labbe.de/lesekorb/index.asp?themaid=130&titelid=1726
(3): Die Negativfigur mit einer deutschen Fürstin zu besetzen, könnte entweder ein Ausdruck der antideutschen Ressentiments sein, die am Anfang des 12. Jahrhunderts, also in der Entstehungszeit der Geschichte, durch die kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Deutschen Reich in Polen vorherrschten, oder aber ein möglicher Hinweis auf die ursprüngliche Herkunft der Legende – entscheidet selbst.
(4): Vgl. http://dziedzictwo.ekai.pl/text.show?id=1156
b.m.palka - 9. Feb, 17:26