Vox populi vox… lector?

Wer schon mal einen ausländischen Film im polnischen Fernsehen geguckt hat, der stellte daraufhin möglicherweise seine psychische Verfassung in Frage. Schließlich konnte er, neben den Originalstimmen der Schauspieler, klar und deutlich eine dritte, meist recht penetrante und bisweilen ein wenig desinteressiert wirkende Stimme vernehmen. Was war das? Eine akustische Halluzination? White Noise? Oder doch die späte Rache der Mathelehrerin aus der Mittelstufe, die stets gedroht hat: „Auch wenn ihr euch noch so wehrt, ich werde euch den Wahnsinn schon reinpressen“. Tja, schon möglich. In der Regel dürfte es sich jedoch dabei bloß um den sogenannten und bei vielen Polen beliebten Lektor handeln (bitte nicht mit dem berüchtigten Connaisseur menschlichen Fleisches verwechseln). Wer oder was ein Lektor ist, können sich wohl all jene Vorstellen, die schon mal die Serie „Wunderbare Jahre“ gesehen haben. Nur dass im Gegensatz zu der deutschen Stimme von Tom Selleck, die in der Serie den Erzähler gab und lediglich hin und wieder die markantesten Höhepunkte der Handlung für den Zuschauer hervorhob, ist der polnische Lektor allgegenwärtig und allzeitlich. Über pro und contra, für und wider den Lektor wurde in Polen schon oft diskutiert. Denn auch bei dem zweitgrößten Nachbar Deutschlands ist sich ein Teil der Zuschauer durchaus bewusst, dass ein Lektor, der einem die Filmdialoge emotionslos herunterbetet (ok, jetzt werde ich allmählich gemein, schließlich sind die meisten Sprecher ja doch nicht sooo furchtbar), bestenfalls eine suboptimale Lösung sei. Immerhin ist es im Zuge dieser Auseinandersetzung seit gut 10 Jahren gang und gäbe, zumindest Kinderfilme und Serien, sowie Kinofilme, die unter dem Schild familienfreundlich laufen, vollständig zu synchronisieren. Und das gar nicht mal so schlecht. Die Mehrheit der jüngeren Polen scheint dennoch in Richtung Untertitel, so wie es zum Beispiel in Skandinavien, oder etwa in Teilen Belgiens geläufig ist, zu tendieren. Das Argument, das dabei häufig angeführt wird, lautet, dass einem Schauspieler, der für seine schauspielerische Leistungen mit einem Oskar prämiert wurde (damit also auch für sein „voice acting“), eine Synchro nie und nimmer gerecht werden könne – sei sie noch so gut. Nun, es mag schon was dran sein. Mehr noch: Es bedarf manchmal nur einer einfachen Sitcom in OmU, um den Untertitelbefürwortern durchaus Recht zuzusprechen.
Dies ändert allerdings wenig daran, dass ich jedes Mal irgendwie peinlich berührt bin, wenn ich einen in Polen gekauften Film in meinen Player einlege und mir daraufhin von einer harten, männlichen Stimme erzählen lassen muss, dass sie von ihrem Freund verlassen wurde, im achten Monat schwanger sei und Dorothy hieße…

P.S. Heute hat Deutschland Polen auf dem Weg zu EM 2016 zugelost bekommen. Wuff! :)

Poltsch und Dolnisch

Deutsche und Polen glauben häufig viel voneinander zu wissen. Doch glauben ist nicht wissen. Was verbindet beide Nachbarn, was trennt? Dieser Blog möchte diesen Fragen nachgehen. Natürlich zweisprachig - deutsch und polnisch, polnisch – deutsch… Also irgendwie poltsch und dolnisch :)

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Zuletzt aktualisiert: 21. Aug, 15:43

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